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Hintergrund

Die Lage

Klimapolitik und Klimabewegung bedingen einander, ja verhalten sich zueinander wie kommunizierende Röhren. Von den Protesten im Hambacher Wald 2018 bis zur Bundestagswahl 2021 entfalteten beide eine sich gegenseitig stützende Dynamik. Große Mobilsierungserfolge etwa von Fridays For Future und EndeGelände führten zu Fortschritten in der Klimapolitik von der kommunalen bis zur internationalen Ebene. Und eben diese Erfolge motivierten wiederum viele Menschen aktiv zu werden und die Bewegung anwachsen zu lassen.

In den letzten zwei Jahren hat sich diese Dynamik leider umgedreht. Die Klimabewegung durchlebt eine Schwächephase in ihren Mobilisierungen und ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Und Klimapolitik ist – ausgelöst durch die dichte Abfolge von Krisen und hohe Energiepreise – spätestens mit der Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz ins Fahrwasser eines Kulturkampfes gelangt. Sie wird von breiten Bevölkerungskreisen als sozial ungerechtes Elitenprojekt wahrgenommen, das ihnen mit Verboten aufgezwungen wird.

Schlimmer noch: Die AfD führt erfolgreich Klimapolitik als Beispiel ins Feld, wie die demokratischen Institutionen von einer grünen Elite dominiert seien und abgehoben gegen die Mehrheit Politik durchsetzen würden. Sie präsentiert sich als Alternative, welche die Demokratie gegen den grünen Mainstream wiederherstellen würde – und wirbt damit um Wähler*innenstimmen.

All dies hat Folgen: Große Teile der demokratisch verfassten Parteien meinen, nur mit weniger, nicht aber mit mehr Klimaschutz Wahlen gewinnen zu können. Selbst in urbanen Räumen machen Parteien dezidiert Wahlkampf mit Pro-Auto-Kampagnen. Das zeigt: Solange die AfD ihre dominante Stellung behält und ihre Narrative erfolgreich setzt, sind größere Fortschritte in der Klimapolitik kaum zu erwarten. Dies ist umso dramatischer, als dass sich das Fenster zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels in den nächsten Jahren schließt.

Die Hegemonie der AfD im politischen Diskurs brechen und damit wieder Räume für eine konsequente Klimapolitik öffnen – das wird zu einem zentralen Ansatzpunkt der Klimabewegung. Denn nur wenn das politische Koordinatensystem nicht von Klimaleugnern von rechts außen dominiert wird, trauen sich Parteien der Mitte wieder mehr Klimaschutz zu.

Genauso wie es ganz grundsätzlich notwendig wird, unsere Demokratie, ihre Institutionen und eine offene Gesellschaft gegenüber den Rechtsextremen zu verteidigen.

Vor diesem Hintergrund widmen sich immer mehr Akteure aus der Klimabewegung der Auseinandersetzung mit der AfD – allen voran viele lokale Gliederungen von Fridays For Future. Sie waren nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen Anfang des Jahres in vielen Orten die entscheidenden Akteure, Massenproteste überall vor Ort zu organisieren. Ihnen gelang es, schnell und agil lokale Bündnisse zu schmieden, Demonstrationen anzumelden und zu organisieren. Damit kam es auch zu einer zumindest teilweisen inhaltlichen Neuaufstellung von Fridays For Future: als Bewegung, die auch unsere Demokratie verteidigt und gegen die AfD mobilisiert.

Doch auch wenn die neue Teilausrichtung zu einer Revitalisierung der Bewegungsstrukturen führt – insgesamt ist die Klimabewegung in der Krise. Verglichen mit ihren Hochzeiten hat sie erheblich an Schlagkraft und Wirkmächtigkeit eingebüßt. Die Aktionsformen sind häufig mehr vom selben und nutzen sich in der öffentlichen Wahrnehmung massiv ab. Die einzig neue Protestform – die der Letzten Generation – hat der Bewegung sogar weit mehr geschadet als genutzt. Sie hat die Konfliktlinie ums Klima nicht gegenüber den Regierenden, sondern zur Breite der Bevölkerung gezogen. Und verstärkt damit die Wahrnehmung in breiten Bevölkerungskreisen, dass ihnen Klimapolitik von einer kleinen Elite aufgezwungen werden soll.

Dies verunsichert viele Menschen, die sich vor kurzem noch zu Klimaprotesten mobilisieren ließen. Diese werden immer kleiner und bringen nur noch die Kerne der Bewegung und ihnen nahe stehende Menschen auf die Straßen. Auch in ihrer inneren Verfasstheit steht die Bewegung vor Herausforderungen. Viele Aktivist*innen sind nach Jahren intensiven Engagements erschöpft. Besonders die deutsche Sektion von Fridays For Future war zudem nach dem 7. Oktober 2023 viel damit beschäftigt, die internationalen Konflikte rund um die problematischen Äußerungen von Greta Thunberg zum Israel-Palästina-Konflikt zu managen.

Wie aus der Schwächephase der Bewegung herausfinden und damit Klimapolitik wieder mehr Relevanz verleihen? Die Antworten darauf sind nicht einfach. Zum ersten muss viel ausprobiert werden. Derzeit gibt es in der Bewegung einen Suchprozess, welche altbewährten Narrative und Themen, Strategien und Aktionsformen noch funktionieren und welche neuen stattdessen zum Einsatz kommen könnten. Vieles will dabei nicht nur theoretisch durchdrungen sein, sondern muss konkret ausprobiert werden. So streikten die Klimaaktivist*innen zuletzt gemeinsam mit Gewerkschafter*innen von Verdi, um zu zeigen, wie sehr Ökologisches und Soziales zusammengedacht werden müssen. Nur mit besseren Arbeitsbedingungen finden sich beispielsweise mehr Fahrer*innen für Bus und Bahn. Hier wird Neues sehr konkret ausprobiert.

Zum zweiten muss sich die Bewegung weiter auch als Demokratie- und Anti-AfD-Bewegung verstehen, um Räume für Klimaschutz zu öffnen und unsere Demokratie zu verteidigen. Diese Neuausrichtung bietet Chancen, wieder an die zentrale politische Auseinandersetzung anzuknüpfen. Gleichzeitig ist es aber auch eine Herausforderung für die Klimabewegung, als Demokratiebewegung Zulauf und Handlungsstärke zurückzugewinnen, ohne das Kernthema Klimaschutz aus den Augen zu verlieren oder inhaltlich diffus zu werden.

Zum dritten muss die Bewegung Windows of Opportunities kraftvoll nutzen können, sobald sie sich öffnen. Die Klimakrise wird leider immer stärker mit Hitzewellen, Dürren oder Flutkatastrophen auch vor unserer Haustür spür- und erlebbar werden. Hierdurch können sich Möglichkeitsfenster öffnen, welche die gesellschaftliche Stimmung verändern oder gar drehen – wenn die Bewegung einen solchen Umschwung mit forciert. Gleichzeitig können auch “Orte der Zerstörung” eine plötzliche Dynamik entfalten – wie wir am Hambacher und Dannenröder Wald oder in Lützerath gesehen haben. Noch vor Jahresfrist dominierten die Proteste im Rheinischen Revier über Tage die Medien, die sich dagegen richteten, dass ein kleines Dorf und das globale Klima durch die Kohlebagger zerstört werden.

Die Basis sowohl für erfolgreiche Suchprozesse nach neuen Aktionsformen, die teilweise Neuausrichtung als Demokratiebewegung und die erfolgreiche Nutzung von Windows of Opportunities sind funktions- und reaktionsfähige Kerne der Klimabewegung. Sie werden konkret von Menschen gebildet und geformt, welche die Bewegung zusammenhalten, tragen und stabilisieren. Häufig hängt vieles an wenigen Personen, die ganz verschiedene Funktionen innehaben. Es braucht charismatische Führungsfiguren und sprachfähige Köpfe für die Medien. Netzwerker*innen im Hintergrund und inhaltliche Expert*innen. Und ganz wichtig auch Menschen mit großen Orgakompetenzen, die den Überblick behalten und konkrete Logistik sichern. Diese Vielfalt an Menschen benötigt Bewegung auf allen politischen Ebenen, von der kommunalen bis zur internationalen.

Diese talentierten Menschen über längere Zeiträume zu halten und zu binden – das ist immer wieder eine große Herausforderung für Bewegungen. Die hiesige Klima- und Demokratiebewegung verfügt immer noch über ein erfreulich engmaschiges Netzwerk an beeindruckenden Aktivist*innen. Doch es gibt auch einen schmerzhaften Brain Drain. Besonders auch aus ökonomischen Zwängen verabschieden sich Menschen, die ihr Engagement als Schüler*innen begonnen haben, jetzt in Angestelltenverhältnisse – etwa von NGOs, Bundestagsbüros und zu Stellen sonstiger politischer Institutionen. Dies ist derzeit ein großes Problem für die ineinander verschränkte Klima- und Anti-AfD-Bewegung.

Die Konsequenz dieses Brain Drains sollte sein, zentralen Aktivist*innen eine finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, die ökonomischen Druck von ihren Schultern nimmt. Um diesen zu ermöglichen, noch länger und stärker Teil von Bewegungsstrukturen zu bleiben. So bleibt der Kern der Bewegung bestehen. Er kann Strukturen aufrechterhalten und Vorbereitungen treffen, um das nächste Hoch der Bewegung zu stemmen.

Die Idee

Vor diesem Hintergrund wollen wir einen Fonds einrichten, der gezielt zentrale junge Aktivist*innen in der Klima- und Demokratiebewegung mit Stipendien unterstützt. Der finanzielle Betrag, der ihnen monatlich zugutekommt, entspricht bewusst nicht einem Beschäftigungsverhältnis. Er ist vielmehr eher an eine Aufwandsentschädigung angelehnt, die einen Ersatz für Nebenjobs bildet, die sich die Aktivist*innen sonst suchen müssten. Damit fügt er sich gut in die zumeist von ehrenamtlicher Arbeit geprägten Strukturen in Bewegungen ein und soll auch keine zu großen Unterschiede zu anderen Aktiven aufkommen lassen, die eine Unterstützung durch ein Stipendium nicht genießen.

Wie oben bereits skizziert, können die Stipendiat*innen unterschiedliche Rollen in Bewegungen begleiten und auch auf sehr verschiedenen Ebenen aktiv sein – von regional bis international. Sie sollten aber in einem bundesweiten Kontext ihren Schwerpunkt haben, da eine internationale Förderung zumindest derzeit das Konzept überfordern würde. Zudem sollten sie eine zentrale Rolle in Bewegungen spielen, Verantwortung tragen und in ihrem Tun einen wichtigen Unterschied machen. Und ihre Arbeit sollte sich klar auf Aktionsformen fokussieren, die gewaltfrei und an große Bevölkerungskreise anschlussfähig sind.

 

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